Mein Großer hat in Geschichte gerade das europäische Mittelalter. Dabei sollten sie in Teamarbeit die Herkunft verschiedener Sprichwörter herausfinden und als Kurzreferat der Klasse vortragen. Finde ich grundsätzlich eine tolle Sache, da es Neugier, Teamarbeit, Recherchefähigkeiten und noch ein paar andere Dinge mehr fördert, die in meinen Augen deutlich wichtiger sind, als die Frage, ob der Gang nach Canossa nun 1076/77 oder 1078/79 angetreten wurde. Aber als der Große mir dann erzählte, was in den Referaten vorgetragen wurde – und wie die Recherche ablief, musste ich doch schlucken.
Nein, das hier wird kein Rant gegen Lehrer, keine Sorge. Es ist nur ein Appell, nicht unbesehen alles zu glauben, was irgendwo geschrieben steht. Auf der Referatsliste stand nämlich auch der Klassiker: Alles in Butter.
Die Kinder haben das gegoogelt und fanden einen Haufen Seiten, auf denen behauptet wird, die Bezeichnung stamme aus dem Mittelalter, damals hätten (venezianische) Fernhändler ihre wertvollen Gläser mit heißer Butter übergossen, damit sie auf dem Transport nicht kaputt gingen. Eine sehr populäre Behauptung, die laut Wikipedia nicht nur im Duden steht. Ich habe sie auch schon bei einer Führung durchs Museum der Kaiserpfalz Paderborn gehört. Dort war es aber angeblich der Hofstaat Karls des Großen, der sein zerbrechliches Geschirr auf diese Weise schützte. Nun ja.
Muss was dran zu sein, wenn so viele das behaupten
Oder auch nicht. Der Nachteil an Informationen aus dem Internet ist, dass sie zwar schnell verfügbar und mit copy und past genauso schnell reproduzierbar sind. Das bedeutet leider auch, dass die Quelle oft genug nicht kritisch hinterfragt wird. Und wenn dann noch eine nette Geschichte dazu kommt, wird auch eine Falschbehauptung schnell viral.
Ich fürchte, dass bei der Butter genau das passiert ist. Die Geschichte von den Händlern (oder dem Hofstaat) ist eine hübsche Anekdote, die uns „Wissenden“ bestätigt, dass die Leute im Mittellalter alle ein bisschen komisch waren.
Aber wenn ein Mensch aus dem Mittelalter per Zeitreise zu uns versetzt würde, würde er über diese Geschichte vermutlich herzlich lachen. Und darüber, dass wir so dumm sind, sowas zu glauben.
Sapere aude!
Recherche heißt auch, Behauptungen nicht einfach zu glauben, sondern den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstands zu bedienen, auch wenn das bedeutet, dass man zu ganz anderen Ergebnissen kommt, als die Mehrheit.
Um bei der Butter zu bleiben, könnte man sich z. B. fragen, wieso diese angeblich so bruchsichere Verpackung in Vergessenheit geraten konnte. Man könnte auch fragen, warum jemand ausgerechnet in einer Zeit, in der alle naslang irgendwo Hungersnot herrschte, auf die Idee kam, ein teures Lebensmittel als Verpackungsmaterial zu benutzen. Man könnte auch die Frage aufwerfen, wie viel zusätzliches Gewicht es bedeutet, eine Transportverpackung zusätzlich mit Butter auszugießen und wie die Lasttiere mit dem zusätzlichen Gewicht zurechtkommen sollten (der 40-Tonner war genauso wenig erfunden, wie die Autobahn). Als Hausfrau könnte man aber auch mit der ganz pragmatischen Überlegung beginnen, wie man die Gläser anschließend aus der Transportverpackung heraus und wieder sauber bekommt – schließlich kann man ein Fass oder eine Truhe schlecht über ein Feuer hängen, um das Fett zu verflüssigen. Mehr in den Bereich der angewandten Physik geht die Erwägung, wie gut die Dämpfungseigenschaften von Butter tatsächlich sind – immerhin wird sie schon bei Zimmertemperatur weich und im Sommer werden noch ganz andere Temperaturen erreicht.
Das ist jetzt natürlich alles kein Argument, dass es nicht doch so gewesen ist. Schließlich haben Menschen zu allen Zeiten allen möglichen Blödsinn angestellt.
Andererseits: Die waren ja auch nicht blöd, damals. Auch damals hätte man bevorzugt zu einem leichten, billigen Verpackungsmaterial gegriffen, das sich problemlos entfernen lässt. Stroh zum Beispiel. In meinem Mittelalterverein polstern wir unsere Geschirrtruhen damit aus. Oder Bast, der noch heute bei Chianti-Flaschen verwendet wird.
Und wie war es dann?
Das ist die unangenehme Nebenwirkung, wenn man Fragen stellt: Manchmal ist die einzige Antwort, dass man die Frage nicht beantworten kann. Meine Theorie ist, dass der Satz „alles in (schönster) Butter“ ähnlich wie „Butter bei die Fische geben“ aus der Küche kommt.
Der Satz könnte sich ursprünglich auf die Qualität (und den Geschmack) eines Essens bezogen haben, das nicht mit billiger Margarine oder anderen Ersatzfetten, sondern eben mit Butter gekocht wurde. Da Margarine erst unter Napoleon (als billiger Butter-Ersatzstoff für das Heer) erfunden wurde, wären wir damit nicht mehr im Mittelalter. Aber wenn man sich anguckt, was alles in dieser ersten Margarine drin war, ergibt es immer noch eine gute Geschichte.
Wenn man die Herkunft unbedingt im Mittelalter verorten will, würde sich als Deutung eher anbieten, dass dieser Satz das Ende der Fastenzeit markiert, während der nicht nur Fleisch, sondern auch Butter verboten. Wenn also wieder „alles in Butter“ ist, könnte das im übertragenen Sinne heißen, dass man endlich wieder richtig schlemmen darf.
Natürlich weiß ich es nicht. Ich war nicht dabei. Aber beide Erklärungen scheinen mir wesentlich logischer als die doch recht weit hergeholte (wenn auch hübsche) Geschichte vom Händler mit seinen Glaswaren.
Warum ich das loswerden musste
Als Autor weiß man, wie wichtig es ist, Klischees zu vermeiden. Die meisten von uns entwickeln im Laufe der Zeit einen inneren Klischeesensor, der sofort Alarm schlägt, wenn Charaktere oder Situationen, ins klischeehafte abzurutschen drohen.
Bei der Recherche fehlt so ein Sensor oft. Als geübte Lügner sind wir daran gewöhnt, Wissen zu simulieren und über Dinge zu schreiben, von denen wir im Grunde keine Ahnung haben. Hauptsache, der Leser nimmt es uns ab. Bei der Wiedergabe von Fakten ist es deshalb so wichtiger, Informationen nicht einfach zu übernehmen, sondern möglichst mehrere Quellen zu vergleichen und kritisch zu hinterfragen. Viele Leser nehmen sachliche Fehler sehr übel. Nun kann man Fehler zwar nie ganz vermeiden – aber man sollte sein Bestes tun, ihre Quote so gering wie möglich zu halten.